Herr Kafka und die verlorene Puppe

 

Bildquelle: Fischer Sauerländer
Herr Kafka 
und die verlorene Puppe
von Larissa Theule
illustriert von Rebecca Green
übersetzt von Mathias Jeschke
48 Seiten
1. Aufl. 27. März 2024
ISBN: 978-3-7373-6215-3
Fischer Sauerländer Verlag
16,90€
Auf euch wartet eine sehr berührende,
herzenswarme, fantasievolle,
mutmachende, tröstende Geschichte
nach einer wahren Begebenheit
für Kinder ab 4 Jahren

Zum 100. Todestag von Franz Kafka († 03. Juni 1924) haben sich Larissa Theule und Rebecca Green einer sehr bekannten Geschichte angenommen, die inspiriert von einer wahren Begegnung ist, aber erst viele Jahre nach Kafkas Tod zu Tage kam. Mathias Jeschke hat sie für und der Fischer Sauerländer Verlag aus dem Englischen übersetzt, um sie auch dem deutschsprachigen zugängig zu machen.
Viele Jahre nach Franz Kafkas Tod erzählte seine Lebensgefährtin Dora Diamant der Biographin Marthe Robert von dieser wahren Begebenheit, die sie selbst miterlebte. Marthe Robert fand sie so außergewöhnlich und so wundervoll, dass sie davon berichtete.
Im Laufe der Jahre versuchte immer mal wieder jemand, das Mädchen ausfindig zu machen, um über sie vielleicht an die Briefe zu kommen, und mehr über sie und Kafka zu erfahren, doch alle Versuche scheiterten.
So ist die wahre Begebenheit und Begegnung, von der Dora Diamant rückblickend berichtet der Rahmen für zahlreiche Geschichten, wie die von Larissa Theule geworden.
Im Laufe der Jahre ist die Geschichte aber auch immer mal für längere Zeit in Vergessenheit geraten, daher ist es umso schöner sie anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka ein wenig aus der Versenkung geholt wurde und nun als Bilderbuchgeschichte erlebt werden kann, die hoffentlich über Generationen weitergegeben wird.
Kindgerecht, Neugier weckend und mitreißend erzählt Larissa Theule ihre Geschichte "Herr Kafka und die verlorene Puppe", die auch die Geschichte der kleinen Irma ist, auf die Franz Kafka und Dora Diamant im Herbst 1923 im Park trafen. Ihnen fällt das Mädchen auf, weil es weint, was Franz Kafka tief bewegt und neugierig macht. Er nimmt sich der Kleinen Irma an, fragt sie, wieso sie denn weint, und erfährt so, dass sie ihre Puppe verloren hat.
Was dann geschieht ist einfach nur zauberhaft.
Er erzählt ihr, dass er froh sei sie getroffen zu haben, denn ihre Puppe sei gar nicht verloren gegangen sondern auf Reisen. Er berichtet ihr, dass er einen Brief von ihr für sie hat, den er ihr als ehrenamtlicher Postbote geben sollte. Da er den Brief zuhause in seiner Manteltasche hat kündigt er an ihr den Brief am nächsten Tag zu bringen.

Und tatsächlich bringt Herr Kafka dem Mädchen einen Brief von ihrer Puppe, die sich auf Reisen befindet und nun darüber erzählt. Daraus entwickelt sich eine besondere Beziehung zwischen ihm und dem Mädchen. Wie Dora Diamant berichtete trafen sich Kafka und das Mädchen über einen Zeitraum von etwa 3 Wochen. Jedesmal überbringt Kafka der Kleinen einen Brief der reisenden Puppe, die so das Mädchen an ihren Abenteuern teilhaben lässt. Wir wissen natürlich, dass nicht die Puppe, sondern Kafka die Briefe schrieb, doch für das Mädchen waren es die echten Briefe ihre Puppe, die sie so vermisste.
Durch die Briefe war sie ihr nah, was sie ungemein tröstete. Eigentlich ist es schon ein Wunder gewesen, dass Kaffka angesichts seiner schweren Lungenerkrankung noch die Kraft gefunden hat die Briefe zu schreiben. Was er wirklich geschrieben hat, wissen wir nicht. Einzig Dora Diamants Schilderungen lassen erahnen, welchen Inhalt sie hatten.  Im letzten Brief soll er nach Dora Diamants Erinnerungen gestanden haben, dass sie geheiratet hat. Ob es genauso war, wissen wir aber nicht sicher.
Allen Autor/innen, die, wie Larissa Theule, die Geschichte von Kafka und dem Mädchen aufgegriffen haben ist es so möglich (gewesen) mit eigener künstlerischer Freiheit und Fantasie sowohl die Geschichte zu erzählen als auch die Briefe zu formulieren.
In diesem Buch ist jeder Brief in eine Illustration eingebettet und lässt das Mädchen und uns an der spannenden Reise teilhaben.
Das Mädchen wiederum lässt Kafka an den Erzählungen der reisenden Freundin teilhaben, in dem sie ihm von dem Inhalt der Briefe berichtet. Doch das ist noch nicht alles. Die Begegnungen im Park, in dem sie sich zur Briefübergabe trafen, wurden zu etwas ganz Besonderem, dass weit mehr war als der Austausch von Briefen und den Neuigkeiten der reisende Puppe, es entwickelte sich eine besondere Freundschaft, in der Kafka mehr über das Mädchen erfährt.
Larissa Theule folgt in ihrer Geschichte dem Mädchen und ihren Gefühlen, so erfahren wir auch wie sie eines Tages vergebens auf Kafka wartet, was Rebecca Green in intensiven kleinen Bildfolgen visualisiert.
Kafka ging es zunehmend schlechter, er wollte Irma aber nicht enttäuschen und so überbrachte Dora Diamant auch mal einen Brief. Kaffka ahnte, dass er nicht mehr viel Zeit hatte und so ließ er Puppe Supsi einen letzten Brief schreiben, den er dem Mädchen wieder selbst überreichte. In ihm teilte Supsi Irma mit, dass sie auf eine lange Antarktis Expedition gehen wird, und es ihr deshalb nicht mehr möglich ist zu schreiben, sie aber in Gedanken immer bei ihr und in ihrem Herzen sein wird. An diesem Tag schenkte Kafka dem Mädchen ein Notizbuch.
"Und nimm immer ein Notizbuch und einen Stift mit, wenn du unterwegs bist, damit du deine Abenteuer aufschreiben kannst", sagte er und verabschiedete sich.
Was aus dem Mädchen geworden ist, wissen wir leider nicht, aber durch Dora Diamants Erzählungen haben wir zumindest von dieser unglaublich anrührenden Geschichte, die sich im Herbst 1923 zutrug, erfahren.
Larissa Theule erzählt sie so wundervoll, so mitfühlend und nahbar, dass die Kinder beim Vorlesen völlig gebannt und gespannt lauschen. Durch Rebecca Greens herrliche, ganz besondere Zeichnungen wird sowohl die Geschichte und Beziehung zwischen Kafka und dem Mädchen sehr real und miterlebbar als auch die Reise und die Briefe der Puppe.
Rebecca Greens fantastischer, besonderer Illustrationsstil passt absolut perfekt zu dieser herzenswarmen Geschichte und der damaligen Zeit. Auch wenn die Amerikanerin ihren ganz eigenen Zeichenstil hat, haben mich ihre Figuren, sowohl in Bezug auf die Technik und Farbwahl als auch die kantigen spitzen Nasen, die Kopfform und Mimik und Gestik ein wenig an Illustrationen der 1920er Jahre erinnert, was zeitlich wunderbar zum Zeitgeschehen der wahren Begebenheit passt sie sind zeitlos schön.
Für uns ist es ein absolutes Lieblingsbuch, das Klein und Groß gleichermaßen begeistert. Zu erleben, wie die Kraft der Fantasie tragen kann ist sehr sehr emotional und einfach wunderbar.
Meine Lesekinder finden es immer wieder faszinierend, dass es so viele unterschiedliche Illustrationsstile gibt und nicht alles einfach nur plakativ bunt ist.
Kindergartenkinder lieben die fantasievolle Geschichte, in der sie wunderbar mit dem Mädchen mitfühlen und sich in sie hineinversetzten können. Oft kommt auch der heimliche Wunsch auf mal Briefe von dem eigenen Kuscheltier oder der Puppe zu bekommen.
Mit Grundschulkindern kann man fantastisch weitergehend über Kafka und sein Leben sprechen und auch intensiver auf die Entstehung von Geschichten und künstlerischer Freiheit und Interpretation, sowie auf die Illustrationen eingehen.
Im Anhang des Buches findet ihr zudem weitergehende Informationen zu Kafka und der Geschichte, die dieser zu Grunde liegt, sowie eine kurze Vita und einige Literaturhinweise.

Aufgrund des Illustrationsstils, der auch Erwachsene stark anspricht, ist dieses Bilderbuch auch ein wunderschönes Geschenk für alle Erwachsenen Kafka Fans. Ich kann es euch allen nur ans Herz legen. Hier habt ihr wirklich einen kleinen, zeitlosen Literaturschatz.