Möwenherz Roman

Bildquelle: Diana Verlag
Möwenherz
von Karen Bojsen
384 Seiten
1. Aufl. 2018
Diana Verlag
ISBN: 978-3-453-35971-0
9,99€


Ein stimmungsvoller Roman aus dem Norden

Kartin Burseg, alias Karen Bojsen hat es wieder einmal geschafft ihre Leser vom ersten Moment in den Bann zu ziehen.
Schon die ersten Sätze fesseln einen, ziehen einen in die Handlung hinein , so dass man nicht mehr aufhören kann  zu lesen.
Sprachgewaltig, sehr sensibel und mitreißend erzählt sie eine Geschichte in der die drei Protagonisten viel aufzuarbeiten und zu verarbeiten haben.
Wir lernen Ebba kennen. Eine junge erfolgreiche Frau mit einer ganz besonderen Familiengeschichte.
Ebba steht mitten im Leben. Umtriebig, rastlos zieht sie mit dem Stargeiger Jona Bennett von Konzert zu Konzert, von Auftritt zu Auftritt. Ist immer für ihn da. Organisiert, plant, gibt Presseerklärungen heraus und liest ihn jeden Wunsch von den Lippen ab. Man könnte meinen, sie hat gar kein eigenes Leben. Doch dann kommt der Tag an dem Jona alles zu viel wird. An Flughafen, auf dem Weg von Amsterdam nach New York überkommt ihn eine Panikattacke, plötzlich ist nicht mehr wie vorher. Verletzlich, verstört fast  wie ein kleines Kind wirkt er. Trotz aller Bemühungen gelingt es Ebba nicht ihn ins Flugzeug zu bringen. Jona will nicht mehr, kann nicht mehr. Zurück im Hotel bekommt Ebba einen Anruf, der ihr ganzes Leben verändern wird. Ihre Großmutter ist gestorben. Sie muss nach Emilienkoog an die Nordsee. Dort hin zurück wo sie eigentlich nicht mehr hin zurück wollte, zu schmerzhaft, die Erinnerungen, die sie 20 Jahre zuvor veranlassten nicht mehr dort hin zu reisen.
Ausgerechnet jetzt wo Jona sie so sehr brauchte, wo so viel zu regeln war, musste sie an die Nordsee, nichts ahnend, dass es Jona schlimmer ging als sie sich es vorstellen konnte. Kurzerhand nimmt sie ihn mit, was gar nicht so leicht ist. Den berühmten Stargeiger mit dem auffälligen pinken Geigenkasten kannte jeder. Die Presse würde sich auf ihn stützen, die Gerüchteküche würde losgehen wenn herauskommt, dass er Konzerte absagt nicht mehr auftritt.
Auf dem Weg an die See wird Jona klar, er muss einen triftigen Grund haben um von der Bildfläche zu verschwinden. Wohl sehr unüberlegt verletzt er sich absichtlich an der Hand. So schwer,  dass er längere Zeit nicht spielen kann.
In Emilienkoog angekommen tut sich für ihn eine völlig neue Welt auf, die ihm gut tut. Ebba ist trotz ihrer Trauer, ihrer Erinnerungen für ihn da und er ist für sie da. Beide brauchen sich. Nach und nach erfahren wir mehr von Ebbas Leben, ihrer Vergangenheit, wieso sie Emilienkoog verließ. Sie trifft auf alle alten Freunde und Bekannten, die sie herzlich aufnehmen. Sie muss sich um nichts kümmern. Der Hof der Großeltern wird für einige Zeit ihr Rückzugsort und der von Jona, hier wird ihn niemand finden. 
Parallel dazu erfahren wir von Finn. Herzchirurg , Herzensbrecher ebenfalls rastlos und mit Vergangenheit die ihn veranlasste von Emilienkoog zu verschwinden. 
Auch ihm geht es nicht gut bei seiner letzten Herz OP geschah etwas merkwürdiges. Etwas was ihm etwas Angst machte, was ihn ratlos machte. Auf dem Weg in den Urlaub hört er von gestrandeten Walen in seiner Heimat. Urplötzlich ändert er seine Pläne, dreht um und fährt in den Norden.
Noch weiß er nicht was ihn da erwartet, wie die gestrandeten Wale sein Leben verändern werden und in welcher Beziehung der Tod von Ebbas Großmutter mit den Walen steht.
Ebba und Finn haben eine gemeinsame Vergangenheit mit einem einschneidenden Erlebnis, dass beide nicht los lässt.
Ob sich alles klärt und wie, das verrate ich hier nicht.
Nur so viel, der Roman hat ein ungewöhnliches Ende. Ein Ende, dass ich so nicht erwartet hätte und das ich mir vielleicht auch ein wenig anders gewünscht hätte. Bis zum Schluss ist dieses Ende nicht zu erkennen.
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Abwechselnd  erfahren wir etwas über Ebba, Jona und Finn. Über jedem "Kapitel" steht der Name dessen um den es auf den nächsten Seiten geht. So erleben wir z.B. ein und due selbe Situation aus der Warte zweier oder auch dreier Menschen, wie sie fühlen, was sie verbindet, wie sie etwas erleben. ein äußerst gelungener Perspektivwechsel, der die Handlung unglaublich spannend macht. Gerade noch ist man bei Ebba und dann geht es um Finn oder Jona. Man denkt schade, ich möchte doch wissen wie es weiter geht und ist im gleichen Augenblick schon wieder gefangen und fasziniert von dem was nun da steht. Die Autorin schafft es unglaublich gut Spannung zu halten und in eine andere Richtung zu lenken ohne das man den Faden verliert oder es zu sehr abdriftet.
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Ihre Charaktere und auch die der Nebenrollen
 sind wunderbar fein und charismatisch beschrieben. Jeder hat sein Eigenleben aber alle verbindet etwas. Die Vergangenheit wird zum Jetzt spannend, magisch aber nicht so dominierend, dass man das Gefühl hat es ist nur eine Reise in due Vergangenheit. Dafür ist das hier und Jetzt in dem Jonas Geschichte spielt viel zu präsent.
Ein Geiger mit Burnout, auf der Flucht vor der Presse, muss unerkannt bleiben, was angesichts des Medienrummels um due Wale nicht leicht ist, wir herzlich in die kleine Dorfgemeinschaft aufgenommen. Er denkt niemand hat ihn erkannt und alle lassen ihm in dem Glauben. Erst fast zum Schluss erfährt er, dass alle gewusst haben wer er ist.
Für Ebba, Finn und Jona ist der Tod der Großmutter, die Reise nach Emiloenkoog, die Konfrontation mit der Vergangenheit und seinen Geschichten, dem Input des Neuen, eine Herausforderung, die nicht leicht ist. 
Trotz aller Blicke zurück ist es immer auf ein Jetzt und nach vorne Blicken. Im Jetzt sind sich Jona und Ebba sehr nahe. Wer Starallüren erwartet den muss ich enttäuschen. Die Autorin hat mit Jona einen Charakter geschaffen, der sehr besonders ist, aber zu viel möchte ich hier nicht verraten denn der Roman lebt von so vielen kleinen Details, die sich wie Puzzele Teile mit der Zeit ineinander fügen.
Tiefe Gefühle, sinnliches Verlangen, niederschmetternde Momente, Sinnkriesen und Dorfgemeinschaft, ein bewegendes Buch in einer sprachlichen Harmonie, die auch nach dem Zuschlagen des Buches noch nach hallt.
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Ich habe es mir in meinem Standkorb auf der Dachterrasse gemütlich gemacht.
Habe mir einen Tag frei genommen um mich von dem Roman entführen zu lassen. 

Eine Auszeit für die Seele.
Kurzurlaub
Heimwehgefühle.
Ich spüre das Salz in der Luft, höre das Rauschen des Meeres.
Sehnsucht
Sehnsucht nach Husum, nach Nordsee, nach dem Landstrich und den Menschen.
Am liebsten würde ich mich in den Zug setzten und fahren.
Einfach fahren so wie Finn

Leider habe ich kein Zuhause dort.
Ich frage mich wie tief kann ein Roman in meine Seele eindringen, dass ich wohl wissend, dass es fiktiv ist, plötzlich hinterfrage wo meine Heimat ist. 
Ich bin heimatlos. Habe niemanden außer meinen Mann und den Kindern hier.
Keine Freunde, keine Familie.
Ich weiß wo ich gern sein möchte. Ich weiß wo ich geboren bin. Ich weiß wie sich Heimweh anfühlt, was mich glücklich machen würde aber ich füge mich den Sachzwängen hier.
Wieso hinterfragt man sein Leben wegen eines fiktiven Romans?
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Ich habe viele Romane in der letzten Zeit gelesen. Einige haben mich träumen lassen, einige haben Wünsche in mir ausgelöst aber so tief zum Nachdenken hat mich bisher noch keiner gebracht.